Sport und Ganztag - ein Überblick

Die Schulentwicklung wirkt zunehmend auf das Bildungs- und Sportsystem. "Rechtsanspruch auf ganztägige Betreuung ab 2026“ heißt das Schlagwort, das viele Vereine, Eltern und Kommunen verunsichert. Chancen und Herausforderungen stehen sich gegenüber. Eine Antwort darauf ist die ver­stärkte Kooperationsarbeit zwischen Sportvereinen und Schulen. Damit entsteht neben Sportunter­richt und Vereinstraining die „dritte Säule“ des Sports – der „Sport im Ganztag“.

Folglich verändert sich dadurch das traditionelle Verhältnis von Sportverein und Schule. Beide Institutionen müssen darauf reagieren. Offenheit und wertschätzende Zusammenarbeit sind gefragt. Gemeinsam mit dem Landessportbund Hessen, hat die Sportjugend Hessen im Mai 2024 ein Positionspapier veröffentlicht, dass die die vielfältigen Dimensionen der Thematik beleuchtet und sich für passende Rahmenbedingungen für Kooperationen des organisierten Sport mit dem formalen Bildungssystem einsetzt.

Hier geht es zum Positionspapier als PDF
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Warum als Sportverein mit einer Schule kooperieren?

  • gesellschaftliche Verantwortung für eine bewegte Kindheit übernehmen
  • Ansehen in der Kommune erhöhen und Anerkennung als Bildungspartner erhalten
  • gemeinsame Ziele im Sozialraum verfolgen (z.B. Wertevermittlung, soziales Lernen)
  • Vereinsangebote am frühen Nachmittag aufrecht erhalten
  • viele Kinder und Jugendliche im Einzugsgebiet ansprechen (Mitgliedergewinnung)
  • Talente entdecken und Nachwuchsförderung unterstützen

Hintergründe zum Ganztag und dem Rechtsanspruch auf ganztägige Betreuung 2026

Durch die stufenweisen Einführung eines Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung von Kindern im Grundschulalter ab 2026 wird die Zahl der ganztägig betreuten Kinder auch in Hessen weiter zunehmen. Dies wirkt sich auf die Gesamtstruktur des gemeinnützigen organisierten Sports sowie insbesondere auf die Kooperationen zwischen Sportvereinen und Schulen aus. Dabei ist der Trend zu einer Verlängerung der täglichen Schulzeit nicht neu, sondern seit ca. 20 Jahren zu beobachten. 

Rechtsanspruch - was bedeutet das?

Der individuelle Rechtsanspruch eines Kindes bzw. dessen Eltern auf Betreuung besteht ab dem Schuljahr 2026/27 beginnend in Klasse 1. Jedes Schuljahr kommt ein weiterer Jahrgang hinzu, so dass ab 2029/30 alle Kinder im Grundschulalter einen Betreuungsanspruch von 8 Stunden an 5 Tagen in der Woche inkl. der Ferien haben (max. Schließzeit beträgt 4 Wochen). Die Unterrichtszeiten und darüber hinausgehende Betreuungszeiten in der Schule werden auf den Betreuungsanspruch angerechnet. Für die Betreuung außerhalb der Schulzeit sind die Träger der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe, d.h. die Kommunen, zuständig. Wie viele Kinder tatsächlich ganztägig betreut werden, hängt vom Bedarf der Eltern ab. Eine flächendeckende verpflichtende Ganztagsschule ist dabei nicht vorgesehen.

Perspektivisch werden ca. 75-80% der Kinder eine Ganztagsbetreuung in Anspruch nehmen. Dadurch wird sich auch das Spiel- und Bewegungsverhalten vieler Kinder weiter in den Schulkontext verlagern. Dieser Realität muss sich auch der organisierte Sport stellen. Gemeinsam können Schulen und Sportvereine dazu beitragen, dass der verlängerte Schultag für viele Kinder bewegter und sportlicher gestaltet wird.

Unterschiedliche Ganztagsmodelle

Das Land Hessen bietet Schulen verschiedene Ganztagsprogramme an:

  • Profil 1: Die Schulen bieten ein freiwilliges Ganztagsangebot an mindestens drei Tagen pro Woche (mind. 7 Zeitstunden)
  • Profil 2: Die Schulen bieten ein freiwilliges Ganztagsangebot an fünf Tagen pro Woche (7.30 – 16.00/17.00 Uhr)
  • Pakt für den Ganztag: Die Schulen bieten in Kooperation mit dem Schulträger und/oder der Jugendhilfe ein freiwilliges Ganztagsangebot an mindestens fünf Tagen pro Woche (7.30 – 17.00 Uhr) inkl. Ferienbetreuung
  • Profil 3: Diese Ganztagsschulen bieten ein verpflichtendes Unterrichts- und Betreuungsangebot an fünf Tagen pro Woche (7.30 – 16.00/17.00 Uhr) für alle Schülerinnen und Schüler oder für einen definierten Teil ihrer Schülerschaft (z. B. bestimmte Klassen, Jahrgangsstufen oder Schulzweige)

Im Schuljahr 2022/23 verfügten ca. 775 der rund 1000 Grundschulen in Hessen über eine Ganztags­betreuung, die in einem der Ganztagsprogramme des Landes organisiert ist. Die Beteilgungsquote liegt aber derzeit noch bei ca. 53%. Nicht nur Grundschulen, sondern auch viele weiterführende Schulen halten über den Unterricht hinaus ganztägige Angebote für ihre Schüler*innen vor. Auch sie können zwischen den Ganztagsprofilen 1-3 wählen, nicht jedoch den Pakt für den Ganztag.

Was ist der Pakt für den Ganztag?

Seit dem Schuljahr 2015/16 gibt es das Programm „Pakt für den Nachmittag“ (PfdN) an hessischen Grundschulen, welches im Jahr 2023 in „Pakt für den Ganztag“ (PfdG) umbenannt wurde. Im Schuljahr 2023/2024 beteiligten sich bereits nahezu 90% der Schulträger in Hessen mit insgesamt 435 Schulen an der Umsetzung des Pakts. Die beiden wesentlichen Ziele des Pakts sind die Schaffung eines verlässlichen Schul- und Betreuungsangebots für hessische Grundschüler*innen von 07.30 Uhr bis 17.00 Uhr sowie der Aufbau eines schlüssigen Bildungsangebots für den ganzen Tag. Dafür war es erforderlich, dass das Land Hessen, das für Schule zuständig ist, und die kommunalen Schulträger, in deren Mitverantwortung die Nachmittagsbetreuung liegt, intensiver zusammenarbeiten und ihre Ressourcen bündeln. Das Land unterstützt die Schulen dabei sowohl personell (Lehrpersonal) als auch finanziell. Der Schulträger (i.d.R. der Landkreis oder die Stadt) stellt das Schulgebäude, die Mittagsverpflegung und weiteres pädagogisches Personal zur Verfügung und organisiert zusammen mit der Schule die jeweilige Nachmittagsbetreuung. Schulen, die im Pakt für den Ganztag teilnehmen wollen, schließen dazu über ihren Schulträger eine Kooperationsvereinbarung mit dem Hessischen Ministerium für Kultus, Bildung und Chancen (HMKB) ab.

Mit dem Pakt soll die Nachmittagsbetreuung insgesamt besser koordiniert und gestärkt werden. Dadurch soll ein verlässliches, durchgehendes Betreuungsangebot entstehen. Gerade im Grundschulbereich gibt es bei vielen Eltern einen großen Bedarf, besonders in den städtischen Räumen. (Denn: Im Kindergartenalter gibt es einen solchen Betreuungsanspruch über den Vormittag hinaus bereits).

Die beiden zentralen Zielsetzungen des Programms sind die Verbesserung der Betreuungssituation und des Bildungsangebotes an Schulen. Kritische Beobachter*innen sehen derzeit den Schwerpunkt auf der Deckung des Betreuungsbedarfs. Die Entwicklung eines erweiterten Bildungskonzepts mit der inhaltlichen und rhythmisierten Verknüpfung von Vor- und Nachmittagsangeboten steht an vielen Orten noch am Anfang.

Pakt für den Ganztag als Modell zur Erfüllung des Rechtsanspruchs

Für das beschlossene Ganztagsförderungsgesetz ist der "Pakt für den Ganztag" ein Modell für Grundschulen, mit dem sich der Rechtsanspruch ab dem Schuljahr 2026/27 erfüllen lässt, da er an allen 5 Wochentagen eine Bildungs- und Betreuungszeit im Umfang von mind. 8 Stunden und eine Ferienbetreuung gewährleisten soll. Zudem sind die Kommunen in dieses Modell involviert - denn sie sind es, die den Rechtsanspruch formal erfüllen müssen (Verankerung im SBG VIII).

Umsetzung des Ganztags

Viele Kommunen und Schulen haben zur Umsetzung des Ganztagsprogramms externe Angebotsträger verpflichtet, die den Ganztagsbetrieb an einer Schule organisieren. Das können z.B. Wohltätigkeitsverbände, kommunaleigene Servicegesellschaften oder privaten Anbieter sein. Auch ein Sportverein kann theoretisch eine solche Trägerschaft übernehmen, wenn er dazu in der Lage ist, ein umfassendes, über den Sport hinausgehendes Angebot für Kinder zu organisieren.

Qualitätsdimension im Ganztag

Die Unterschiede bei der Quantität und Qualität der Ganztagsangebote der einzelnen Schulen sind groß. 283 der Grundschulen, das entspricht etwa 37 Prozent aller Ganztagsgrundschulen, betreuen die Kinder aktuell beispielsweise nur an drei Tagen pro Woche bis 14.30 Uhr (Profil 1). Das Modell Pakt für den Ganztag in seiner aktuellen Form erfüllt hingegen zeitlich bereits den Rechtsanspruch. Die Qualität reicht von vielfältigen ergänzenden Bildungsangeboten, u.a. auch Sport-AGs, bis zu einfachen Betreuungs- und Übermittagsangeboten, d.h. der Möglichkeit eines warmen Mittagessens und betreuter Hausaufgaben- und Spielzeit.

Die Qualitätsdimensionen ganztägig arbeitender Schulen sind in einer Richtlinie und einem dazugehörigen Qualitätsrahmen definiert, die 2018 letztmalig überarbeitet wurde. Eine dieser Dimensionen ist u.a. die Kooperation zu außerschulischen Partnern wie bspw. dem Sportverein.

Bereits 2005 hat der organisierte Sport gemeinsam mit der Landesregierung in einer landesweiten „Rahmenvereinbarung zur Ganztagsbetreuung“, die besondere Bedeutung der Sportvereine im Kontext der Ganztagsschulentwicklung hervorgehoben. Diese wurde 2017 überarbeitet und erneut verabschiedet. Die mit dem Rechtsanspruch ab 2026 verbundene quantitative Ausweitung der Ganztagsplätze erfordert auch den qualitativen und quantitativen bedarfsgerechten Ausbau von Sport- und Bewegungsangeboten. Dies betrifft sowohl Schul- als auch Ferienzeiten. Für hessische Sportvereine ergeben sich hieraus neue Herausforderungen und Chancen.

Viele Sportvereine kooperieren bereits mit ganztägig arbeitenden Schulen, richten die Strukturen und Sportangebote an den sich immer stärker wandelnden Lebensrealitäten von Kindern und ihren Familien aus und profitieren von Förderprogrammen wie dem Landesprogramm "Schule und Verein".
 

Weitere Informationen zur Ganztagsschule in Hessen: www.ganztag-hessen.de

 

 

Wie können Schulen und Sportvereine (gewinnbringend) kooperieren?

Sportvereine stehen angesichts der Ganztagsschulentwicklung vor der Herausforderung, sich zu positionieren und zu überlegen, wie sie mit den veränderten Lebenssituationen der Kinder und Jugendlichen umgehen. Die starken Veränderungen durch Ganztagsschulen und Ganztagsangebote bieten den Sportvereinen neben den oft beklagten Nachteilen für ihre Kinder- und Jugendarbeit auch große Chancen. Denn an keinem anderen Ort ist die Zielgruppe „Kinder und Jugendliche“ besser vertreten und zu erreichen als in der Schule. Spiel, Sport und Bewegung sind für die ganzheitliche Bildung unverzichtbar und sollten daher fester Bestandteil des Ganztagsangebots sein. Nur mit den Sportvereinen lassen sich die Angebote erfolgreich und flächendeckend realisieren.

Möglichkeiten der Zusammenarbeit sind u.a.:

  • AGs / freiwilliger Wahlunterricht
  • Projekte (z.B. sportliche Exkursionen)
  • Schnuppertage/Schnupperwoche
  • Feriencamps
  • Bundesjugendspiele
  • Sportabzeichen
  • Schulsportliche Wettbewerbe/Schulligen
  • Gemeinsame Sportstättennutzung
  • Leistungssportliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen

Faktoren für eine gute Zusammenarbeit
Eine Zusammenarbeit zwischen Schulen und Sportvereinen erfordert von beiden Seiten ein Umdenken. Sportvereine müssen sich verstärkt in die Logik des Schulwesens hineindenken, z.B. bei der zeitlichen Gestaltung oder der Verlässlichkeit von Angeboten. Schulen hingegen müssen begreifen, dass sie es in der Regel mit einem ehrenamtlich getragenen Vereinssystem zu tun haben. Ein gemeinsames Ziel, Kinder und Jugendliche sportlich zu bewegen, muss Grundvoraussetzung für eine gelingende Zusammenarbeit sein.
Die Sportjugend Hessen hat in einer Untersuchung 12 Gelingensbedingungen für erfolgreiche Zusammenarbeit von Schulen und Sportvereinen zusammengestellt, die in ihrer Grundüberlegung weiterhin relevant sind.

Für die konkrete Umsetzung von Kooperationen stehen im Bereich Praxishilfen viele Hilfestellungen zur Verfügung, z.B. Kooperations- und Finanzierungsmodelle, Checklisten, Musterverträge oder gute Praxisbeispiele.